Archive for ‘Der Hierophant’

Juli 18, 2014

[ Schizophrenonie ] – Der Hierophant – Auszug 5

„Wissen Sie, was Schizophrenie eigentlich ist?
Schizophrenie ist die Angst Gottes davor allein im Universum zu sein.

Weil das die Wahrheit ist. Gott ist ganz und gar allein und als er angefangen hat darüber nachzudenken, ist er explodiert. Das war der Urknall. Gott hat sich nicht nur in verschiedene Persönlichkeiten aufgespalten, sondern gleich in alle Bestandteile des gesamten Kosmos. Das ist die Urangst. Also verstehen Sie, dass wir beide hier sitzen entspricht in Wirklichkeit nicht ganz der Wahrheit. Das hier ist ein Traum. Wir sind eigentlich im Dauerzustand eines unendlichen Traumes, der allerersten Seele. Der Urseele. Merken Sie nicht auch, wie alles ur zu werden beginnt?
Erst neulich aß ich Ur-Pasta. Ich habe keine Ahnung, was das eigentlich sein soll, Sie etwa?
Der Urknall, die Urseele, die Urangst, der Urschmerz, das Urherz, der Urheber, die Urmakrele.

Sie lauschte meiner Erzählung.

„Wir sind eigentlich im anhaltenden Dauerzustand eines Traumes.“
Fuhr ich fort.

„Und wie wir ohne Zweifel feststellen können, ist der Schöpferträumer mit einer Menge Fantasie gesegnet worden. Er hat uns alle in all unserer Komplexität erdacht und er hat mich in all meinen wahnwitzigen Einzelteilen erträumt. Und dann nahm er all das, all diese ziellos umherschwirrenden Elementarteilchen und schusterte daraus eine enorm große Matschepampe, die zu allem Überfluß nicht einmal matschig ist, nur pampig werden möchte man ihm gegenüber angesichts dieses irrsinnigen Unterfangens.“

Ich hatte mich in Rage geredet.

Mit meinem üblichen Blick der Überzeugung sah ich sie an. Sie schien selber etwas zwiegespalten, wenn sie doch auch kurz schmunzelte über die wildgewordenen Worte. Ihre Augen versuchten vor mir zu verstecken, was ihr ganzes Wesen wie einen Blitz durchfuhr. Sie kniff sie etwas zusammen, so als könne das, was nun in ihr war, nicht mehr nach aussen sichtbar werden.

„Keiner hätte das hellste aller Sonnenlichter in der schwärzesten aller Mitternachtsrosen vermutet, doch genau dort hat er es versteckt. Genau dort haben wir es aufbewahrt. Sehen Sie in die Augen eines Menschen. Sehen Sie wirklich hinein. Was sehen Sie? Nichts als schwarz. Sie fallen in die Tiefe, dort ist kein Halt, kein Morgen, keine Sonne, alles verdunkelt sich und sie fragen sich, wie sie hier gelandet sind. Aber egal wo Sie fallen, sie können nur im Vertrauen landen.“

Ihr Name war…
Eigentlich unsagbar.

 

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Dezember 18, 2011

Kapitel 2. Herzinterpunktion [Auszug 4]

Um uns herum schwirren lauter Menschenstimmen. Es ist eine angenehme Mischung aus in der Luft zirkulierenden, umherwirbelnden Stimmen, die zu einem großen Ganzen zusammenschmelzen. Dem Klang der Menschen. Manchmal befinde ich inmitten dieser Klänge und merke garnicht, dass ich ihnen unbewusst schon die ganze Zeit gelauscht habe. Es sind so viele verschiedene, laute, leise, krächzende, piepsende, murrende, liebliche Tonarten die durch meine Ohren säuseln und mich Anteil haben lassen an den Klangwesen überall um mich herum. Egal welcher Art Menschen sich dieses Orchester der hundert Stimmen bedient, ab einem gewissen Punkt ist es ausgeglichen und scheint nur noch aus reinster Harmonie zu bestehen. So als würde man eine Vielzahl von Klavieren in einer Reihe aufstellen und auf ihnen allen das gleiche Stück spielen. Sollten zwei oder drei von ihnen nicht richtig gestimmt sein, würden sie in der Menge nicht mehr auffallen. Ihre Dissonanz würde von der Harmonie der übrigen Flügel aufgefangen. In ähnlicher Weise verschwinden krakelende Stimmchen im Schutzmantel überwiegend fröhlich gelaunter Wesen. Es ist fast so, als spiele dieses Orchester auf Frequenzen, die für das menschliche Gehör garnicht mehr wahrnehmbar sind und besänftigen einen so, ohne dass man einen einzigen Laut vernehmen würde. Eine kollektive, stille Übereinkunft unter den hier Anwesenden, welche Töne heute gespielt werden sollen. Und so lauschen scheinbar alle diesem inneren Klang. Auch Elana und ich lausche mit ihr. Ich kenne keinen Klang hier besser, als den ihren. Er ist von allen hier der beruhigenste. Eine Stille, die ich sehr mag. Bei den meisten Menschen kenne ich diese Art von Klang garnicht. Wenn ich manches Menschen Stille lausche, dann ist sie mir viel zu laut. Bei Elana kann ich einfach nur diese Stille sein. Mit ihr sein. Aber dennoch scheint sie diese Stille manchmal selber nicht wahrzunehmen. Es ist als hätte sie ein wenig Angst davor. Nicht so sehr vor der Stille, eher noch vor dieser gewissen Art Dominanz, die diese Stille mit sich bringt. Vielleicht spürt sie, wie ich, dass jedem lauten Wort, jedem harschen Ton nicht viel mehr übrig bleibt, als sich dieser unendlichen Gelassenheit zu ergeben, wenn es dann zu einer Begegnung kommt zwischen zischenden Zungen und flüsterleiser Seelenruhe. Es ist als würde ihre Stille meine verstärken und wenn wir uns beide einfach nur anschweigen, haben wir uns schon mehr gesagt, als andere mit tausend Worten einander beibringen könnten.

 

Wir waten weiter durch das Meer der lauten und der leiseren Töne. Während des Spazierens steigt uns der Duft der Lagerfeuer in die Nase. Es scheint, als würde ein spezielles Holz für den Grill verwendet, unbestimmbar der Geruch, aber sehr angenehm. Unweit der Feuerstelle ist ein charmanter kleiner Stand, an dem heliumbefüllte Luftballons mit bunten Tierköpfen angeboten werden. Dort stampft ein Kind wie wild auf den Boden und fängt an zu weinen, weil es nicht den Luftballon bekommen hat, den es wollte. Wir finden uns inmitten eines Indianerdorfes wieder. Die Leute an den Souvenirständen sind alle in einen hellen, erdigen Braunton gehüllt. Die Frauen haben die Haare zusammengebunden und schmückende Federn im Haar. Alle Sinne sind damit beschäftigt das rege Treiben um uns herum zu erfassen, die Gerüche, die Stimmen, die Bewegungen und die Situationen, die sich aus dem ganzen Gemisch ergeben. Und dann in einem kurzen Augenblick trifft sich mein Handrücken mit dem Elanas. Die Bewegungen der Hände, die unsere Schritte begleiten, halten für eine kurze Sekunde gleichzeitig am Umkehrpunkt an. Der Punkt, an dem die Hand den vordersten Punkt ihrer mitschwingenden Bewegung erreicht hat und wo es sie wieder in die entgegengesetzte Richtung zieht. An jedem anderem Punkt dieser Bewegung wäre aus jedweder Berührung nur ein unmerkliches Streifen geworden. Eine unbemerkenswerte Kollision von Hautpartien, die sich nicht weiter darum zum kümmern scheinen. So wie man an allen Menschen tagtäglich vorbeistreift, ohne wirklich zu merken, dass sie da sind, ohne dass einem etwas an ihnen aufgefallen wäre. Aber an eben diesem einen Punkt fällt man auf seltsame Weise aus der Unachtsamkeit heraus und begegnet der Aufmerksamkeit. Aus dem Streifen wird ein Innehalten und obwohl es nur den Bruchteil einer Sekunde dauert, hat man dieses Mal alles genauestens mitbekommen. Man hat gemerkt, dass man gespürt hat. Das ist der kleine Unterschied. So als wäre es Absicht gewesen, ohne es zu beabsichtigen. Wo sind diese eigenartigen Punkte im täglichen Leben? Diese müssen irgendwo zwischen Zeit und Raum liegen, wenn man sie auf beiden Ebenen nicht wirklich ausmachen kann. Ungreifbar sind sie vielmehr einfach da und scheinen Gefallen daran zu finden, uns zu verwundern. Zwischenraumzeitpunkte. So könnte man sie nennen, obwohl das etwas kompliziert klingt und es der Unbeschwertheit dieser Sekunde nicht gerecht wird. Wie wäre es stattdessen mit Solllaneckstellen? Das klingt auch so kantig und und ungeschliffen, fast schon halsbrecherisch. Herzinterpunktion? Ein Zeichen setzen in einem unaussprechlichen Satz. Wohl zu abstrakt. Mir wird sicher noch ein passender Begriff einfallen, wenn ich´s denn in ein Buch schreiben wollte, in etwa so, dass der Leser beim lesen des Begriffs ein herzliches Schmunzeln über die Lippen fährt und er sich denkt: „Ja, so könnte man es tatsächlich nennen. Ich bin einverstanden“. Aber zu einer erfolgsgekrönten Autorenkarriere werde ich es vermutlich eh nicht bringen, also muss ich mir darüber nicht weiter den Kopf zerbrechen. Ich würde den Leser vielleicht sogar noch eine Multiple-Choice-Auswahl ausgefallener Begrifflichkeiten anbieten, so dass er selber entscheiden kann, welcher Ausdruck ihm am besten gefällt. Eine Art Interaktivität so von Autor zum Publikum und das in einem vorgefertigten Text. Es wäre famos. Ich stelle mir die grinsenden Gesichter der Leute bildlich vor. Ein herrliches Bild. Sie würden es mögen.

Mai 23, 2011

Kapitel 1. Der schlafende Drache [Auszug II]

Ich gehe weiter zwischen den haushohen Ungetümen entlang, als ich bemerke, dass einer seine Augen öffnet und sein Blick mich direkt erfasst. Ich bleibe stehen und halte seinem Blick stand. Er scheint sich nur zu wundern, schnauft kurz und leise und schliesst seine Augen auch schon wieder. Aus der Nähe sehen sie nun nicht mehr alle so gleich aus, wie noch am Anfang von meiner erhöhten Position aus. Jetzt erst erkenne ich, dass jeder sein eigenes, wie speziell für ihn entworfenes, Schuppenkleid trägt. Alleine die Schuppen scheinen mir eine Menge über die jeweilige Persönlichkeit zu erzählen. Manche sind hart, dick, rau und starr, wie aus Granit. Andere sind eher fein und glatt, fast schon geschmeidig und elastisch und manchmal schimmernd. Dann sehen einige aus wie eine Art von Federn oder einer Art Fell mit ungewöhnlichen Haaren, die sehr dick sind und lebendig wirken. Einer kann die Farbe sogar wechseln, ich bemerke es, als sein schwarzer Panzer plötzlich beginnt weiße Flecken zu bekommen, als ich an ihm vorbeigehe und schliesslich ist seine ganze Panzerrüstung in helles Weiss getaucht. Wie bei einem Oktopuss pulsieren die schwarzen und weißen Farbpigmente an seiner äusseren Hülle und dann blitzt auf einmal wie aus dem Nichts ein ganzes Farbgewitter auf mich hernieder, dass für den Bruchteil einer Sekunde über seinen gesamten Körper erstrahlt und mich mit offenem Mund vor mich hinstolpern lässt. Denn irgendwas lässt mich nicht stehenbleiben und sagt mir, ich soll weitergehen und einen Ausgang finden. Ich schlängele mich weiter durch den Tempel am nächsten Drachen vorbei, als ich merke, dass ein Fels unbesetzt zu sein scheint, zwei Felsen weit von mir entfernt. Ich erkenne etwas, das vor dem Stein liegt. Es bewegt sich und dann ist es mit einem Ruck verschwunden. Es war ein Drachenschwanz. Einer ist wach und ich ahne schon wer es ist. Ich sollte mir einen Namen für ihn ausdenken. Das werde ich tun, sobald ich lebend hier rausgekommen bin. Der Luftzug ist jetzt deutlicher zu spüren. Wie ein Wind, der von allen Seiten her weht. Wie ein Hauch, der in meinem Nacken sitzt und sich von dort aus unter meine Kleiung gräbt und meinen ganzen Körper erfasst. Ich spüre wie mein Puls anfängt schneller zu gehen und meine Füße gleichen sich dem Tempo an. Den Fels muss ich erreichen, um mir einen Überblick zu verschaffen. An einer Seite ist er sehr flach und der Anstieg gut möglich. Ich nehme Anlauf und springe den Absatz hoch, von dort aus benutze ich alle Viere, um schnell ganz nach oben zu kommen, komme dabei ins Stolpern und rutsche ab. Nichts passiert und es gelingt mir trotzdem kaum Geräusche zu machen bei aller Hast. Ich fühle mich von Sekunde zu Sekunde unwohler in diesem Raum und es scheint, als würde meine Angst sich langsam auf meine Umgebung ausbreiten. Die Urviecher werden nervös, was mich wiederum nervöser macht. Eine Spirale der Angst formt sich aus, zieht ihre Kreise und ich bin der Mittelpunkt. Der Radius weitet sich in einer Geschwindigkeit aus, die mir Schwindel bereitet. Ich sehe den Ausgang. Es ist die Treppe, die ich von oben am anderen Ende der Höhle gesehen habe, sie steht unter Wasser und führt auf der anderen Seite zum Ausgang dieser Höhle. Es muss so sein. Im nächsten Augenblick spüre ich den Hauch wieder, diesmal deutlicher als je zuvor. Er ist direkt hinter mir. Ich komme nicht dazu mich umzudrehen, denn vor Schreck rutsche ich aus und den steileren Teil des Felsens hinunter. Irgendwie gelingt es mir auf den Füßen zu landen, so dass ich direkt loslaufen kann Richtung Treppe. Vorbei an den letzten vier Felsen, sehe ich wie alles um mich herum nun aufwacht und diesmal scheinen alle mich anstarrenden Augen nicht mehr so desinteressiert, wie noch zu Anfang. In ihren Augen steht geschrieben, dass sie meine Angst sehen können, so als ob sie etwas wäre, das man malen könnte und sie scheinen wütend darüber zu sein. Wütend, dass ich sie mit meiner Angst belästige. Mir bleibt keine Zeit mich zu entschuldigen, da der Überlebenstrieb längst alle Körperfunktionen übernommen hat, auch das Denken und so setze ich meine Flucht unter den erbosten Augen fort, die sich langsam in hungrige Augen verwandeln. Noch ein Grund, schneller zu laufen, als ich es kann. Da ist die Treppe endlich. Ich springe kopfüber ins Wasser, ohne darüber nachzudenken, ob dies wirklich der Ausgang ist. Ich habe keine andere Wahl. Der im Sprung letzte eingeholte Atemzug muss für die unbekannte Länge der Strecke reichen. Aber der Tauchgang ist ein kurzer und kaum da ich ein paar Züge geschwommen bin, schimmert Sonnenlicht von der Oberfläche hinunter zu mir und ich kann auftauchen. Ich bin wieder da. Ich stehe am Fenster meiner Küche und mein Blick geht durch alles durch hinaus in die Ferne. Meine Hand stützt sich an der Seite des Rahmens und ich spüre den Luftzug, wie er durch meine Finger streift. Es ist ein raushängender Dichtungsgummi, der sich verklemmt hatte. Mir ist ganz schwindelig und mein Puls hat sich noch nicht beruhigt. Ich muss mich hinlegen, mich ausruhen. Ich muss so ruhig werden wie die Drachen im Tempel ganz am Anfang. So ruhig wie ein schlafender Drache. Erschöpft schließen sich meine Augen und ich lasse mich in meinen Sessel sinken, der neben dem Fenster steht.

Februar 18, 2011

Kapitel 1. Der schlafende Drache [Auszug]

Eulengegurre. Sanft wachküssende Sonnenstrahlen, die sich durch die Holzlamellen des kaputten Rollos schleichen, um es sich auf meinem Bett gemütlich zu machen. Meinem Gesicht gefällt die sonnige Streicheleinheit. Es fühlt sich ungewöhnlich warm an für einen frühen Herbstmorgen und ich fühle mich erstaunlich wohl, wenn auch nicht mal richtig wach. Denn ich befinde mich gerade noch im Dämmerzustand. Der Zustand, in dem man sehr wohl wach ist, aber noch nicht angefangen hat darüber nachzudenken. Wie ich mich kenne, werde ich vermutlich versuchen weiterhin über nichts weiter nachzudenken, sobald ich anfange wacher zu werden. Ich nenne das den „hirnrissigen Geistesblitz“. Das Problem dabei ist, dass eben dieser Versuch schon ein gezielter Gedanke ist, der in Wahrheit erst den schlafenden Drachen zu wecken beginnt. Aber noch ist er ruhig. der Drache in meinem Kopf, der eine ganze Maschinerie an Gedanken und vor allem Sorgen in Gang setzen möchte, scheint in diesem Zustand selber noch zu schlafen. Gut so. Das kommt meinem Wohlbefinden zu Gute. Realisieren werde ich das erst später, aber das ist im Moment egal, denn für diese Augenblicke ist es, wie es ist. Angenehm. Ich weiß nicht mal, ob man in diesen Sekunden und Minuten Freude empfindet. Vielleicht ist auch meine Definition von Freude und Glück einfach nur miserabel. Es ist, als spiele alles keine Rolle. Die grüne Florfliege mit ihren schimmrigen Flügeln, die es sich auf meinem Kissen gemütlich macht, oder der ausbrennende Stern im benachbarten Sonnensystem, der seine letzten Atemzüge in Feuerstößen ins kalte All hinausatmet. Sie alle sind einfach nur da und tun nur, was sie können, ohne großartig darüber nachzudenken. Beneidenswert. Ob sie wohl Genuß erfahren, wenn sie es selber nicht wissen? Vielleicht wissen sie es ja und ich verstehe es nur einfach nicht.

„Einfachheit“.

Denke ich mir.

Aber es nützt alles nichts. Letztendlich öffnet der Drachen seine Augen doch. Irgendwann ist es soweit und aus dem anfänglichen Blinzeln werden weit geöffnete Pupillen, in deren Brennpunkt zufällig ich liege. Ich liege voll in seinem Fokus und was noch viel schwerwiegender ist – ich bin immer in seiner Reichweite. Ich merke sofort, wenn er auf mich runterblickt. Mit einem abschätzigen Blick wirft er mir ein hämisches Grinsen vor die Füße, um mich wissen zu lassen, dass er nun auch wach ist. Wenn er von dieser allmorgendlichen Begrüßung nicht mal wieder gelangweilt ist und mich einen Moment lang hoffen lässt, er würde mich ignorieren. Nein, das macht er nicht. Ein erstes schüttelndes Schnaufen, das meinen Kopf durchfährt – das bedeutet, er räkelt sich noch, ist selber noch halb im Dämmerzustand. Das verschafft mir wieder ein paar Minuten, um über Strategien nachzudenken, wie ich ihm aus dem Weg gehen kann. Er sieht mir dabei in aller Gelassenheit zu und lächelt sich schadenfroh in seine Pranken. Er hat keine Eile, er ist sich einfach unerschütterlich siegesgewiss, das hat er mir stets vorraus. So groß wie er ist, kann ich ihm nicht mal vorwerfen, auf einem hohen Ross zu sitzen. Er kann garnicht anders, als von oben auf mich herab zu blicken. Selbst wenn er seinen Kopf auf den Boden legen würde, wären seine Augen immer noch etwa einen Meter hoch über mir. Und er ist so von sich selbst überzeugt, dass alleine in seiner Aura zu stehen, mich an meinen eigenen Vorhaben zweifeln lässt. Irgendwann im Laufe des Tages wird auch er ganz wach sein und meine Bewusstheit wird sich mit Gewissheit mit seiner Bewusstheit verbinden und einen ungewollten Pakt schließen. Dann werden all meine Strategien zu einem artistischen Kunststück auf einem weit gespanntem Hochseil. Jeder falsche Schritt führt in meinen eigenen Abgrund, vor dem er mich retten wird. Er fängt mich auf. Aber nicht um mich zu befreien, er tut es, um mich wieder an dem Punkt abzusetzen, wo ich mein Kunststück begonnen habe. Wieder am Anfang des Drahtseils, um mich weiter ärgern zu können.

tbc…

September 22, 2010

Der Hierophant [Auszüge – Teil I]

Du hast Deine Konstante doch schon gefunden.

Wirft mir Wilhelm mit bestimmter Miene entgegen.

Deine Konstante trägst Du schon in Dir.

Er geht ans Fenster, seine Hände in die Hosentaschen vergraben und sieht hinaus, als würde er nach etwas Ausschau halten. Etwas, von dem er nicht genau weiß, was es ist, von dem er nur felsenfest überzeugt ist, dass es da ist und was ihn immer wieder gerne am Fenster hinausschauen lässt. Seine Haltung lässt mich vermuten, dass sein Blick weit über den Horizont geht, hin zu einem unbestimmten Punkt in der Ferne. Fast schon scheint er mir ein bisschen wehleidig oder sehnsüchtig in diesem Augenblick, so als denke er an etwas Vergangenes. An etwas, das er mal verloren hat, oder vielleicht erst nie gefunden. Es ist, als könnte ich seine Gedanken lesen , als stünde ich mit ihm da an seinem Lieblingsfenster mit dem Ausblick ins Unendliche dieser Welt, das sich doch nur immer im Endlichen jedesmal offenbart. Ich weiß es. Was er mir sagen will. Ich weiß es selber. Aber ich habe kein Wort dafür in diesem Moment. Ich möchte auch keines haben. Erspüren möcht´ ich es, nicht benennen, denn was können Worte schon ausdrücken? Viel lieber möchte ich, dass mein Bauch es verschlingt, es verzehrt, dass es sich dann in meinem ganzen Körper ausbreitet und unter meiner Haut brennt. Ja, ich will daran verbrennen, damit ich es ganz begreifen kann. Worte spürt man nicht, wenn sie nicht wie Feuer sind. Ich will kein Wort, dass sich in meinen Verstand einnistet und dort sein Unwesen treibt. Das sich dort vergräbt und sich nach Lust und Laune bis zur Unkenntlichkeit immer wieder selber umbenennt. Mit neuen Namen erfindet und sich davon erhofft, sich all meinem guten Vorsätzen zu entziehen. Ist das nicht eigentlich der Grund, warum ich die meisten Dinge nicht beim Namen nennen möchte?

Unmöglichkeit.

dringt vom nun in blutroter Abendsonne getränktem Fenster durch den Raum und durchschneidet mir den roten Faden der exquisiten, bittersüssen Selbsterkenntnis mit übertriebener Direktheit. Unmöglichkeit dringt in meinen Bauch und dann in alle Stellen meines Körpers, die brennen können. Wilhelm steht immer noch vor dem Fenster, zu sehen ist nur sein Umriss, der sich wie im Zeitraffer immer schwärzer färbt, je härter das Feuerrot sich durchs Fenster in meine Augen brennt. Während seine Worte durch mich rauschen und mein ganzer Körper an Festigkeit verliert, senken sich meine Blicke allmählich in Richtung Delirium. Nicht nur brennen muss ich, mir auch noch selber dabei zusehen, wie hilflos ich in den Flammen kauere. So sollte es sein. Meine Augen färben sich rot und ergießen sich in einem Versuch das Feuer zu löschen.

Unmöglichkeit. Das ist Deine Konstante.