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Februar 18, 2011

Kapitel 1. Der schlafende Drache [Auszug]

Eulengegurre. Sanft wachküssende Sonnenstrahlen, die sich durch die Holzlamellen des kaputten Rollos schleichen, um es sich auf meinem Bett gemütlich zu machen. Meinem Gesicht gefällt die sonnige Streicheleinheit. Es fühlt sich ungewöhnlich warm an für einen frühen Herbstmorgen und ich fühle mich erstaunlich wohl, wenn auch nicht mal richtig wach. Denn ich befinde mich gerade noch im Dämmerzustand. Der Zustand, in dem man sehr wohl wach ist, aber noch nicht angefangen hat darüber nachzudenken. Wie ich mich kenne, werde ich vermutlich versuchen weiterhin über nichts weiter nachzudenken, sobald ich anfange wacher zu werden. Ich nenne das den „hirnrissigen Geistesblitz“. Das Problem dabei ist, dass eben dieser Versuch schon ein gezielter Gedanke ist, der in Wahrheit erst den schlafenden Drachen zu wecken beginnt. Aber noch ist er ruhig. der Drache in meinem Kopf, der eine ganze Maschinerie an Gedanken und vor allem Sorgen in Gang setzen möchte, scheint in diesem Zustand selber noch zu schlafen. Gut so. Das kommt meinem Wohlbefinden zu Gute. Realisieren werde ich das erst später, aber das ist im Moment egal, denn für diese Augenblicke ist es, wie es ist. Angenehm. Ich weiß nicht mal, ob man in diesen Sekunden und Minuten Freude empfindet. Vielleicht ist auch meine Definition von Freude und Glück einfach nur miserabel. Es ist, als spiele alles keine Rolle. Die grüne Florfliege mit ihren schimmrigen Flügeln, die es sich auf meinem Kissen gemütlich macht, oder der ausbrennende Stern im benachbarten Sonnensystem, der seine letzten Atemzüge in Feuerstößen ins kalte All hinausatmet. Sie alle sind einfach nur da und tun nur, was sie können, ohne großartig darüber nachzudenken. Beneidenswert. Ob sie wohl Genuß erfahren, wenn sie es selber nicht wissen? Vielleicht wissen sie es ja und ich verstehe es nur einfach nicht.

„Einfachheit“.

Denke ich mir.

Aber es nützt alles nichts. Letztendlich öffnet der Drachen seine Augen doch. Irgendwann ist es soweit und aus dem anfänglichen Blinzeln werden weit geöffnete Pupillen, in deren Brennpunkt zufällig ich liege. Ich liege voll in seinem Fokus und was noch viel schwerwiegender ist – ich bin immer in seiner Reichweite. Ich merke sofort, wenn er auf mich runterblickt. Mit einem abschätzigen Blick wirft er mir ein hämisches Grinsen vor die Füße, um mich wissen zu lassen, dass er nun auch wach ist. Wenn er von dieser allmorgendlichen Begrüßung nicht mal wieder gelangweilt ist und mich einen Moment lang hoffen lässt, er würde mich ignorieren. Nein, das macht er nicht. Ein erstes schüttelndes Schnaufen, das meinen Kopf durchfährt – das bedeutet, er räkelt sich noch, ist selber noch halb im Dämmerzustand. Das verschafft mir wieder ein paar Minuten, um über Strategien nachzudenken, wie ich ihm aus dem Weg gehen kann. Er sieht mir dabei in aller Gelassenheit zu und lächelt sich schadenfroh in seine Pranken. Er hat keine Eile, er ist sich einfach unerschütterlich siegesgewiss, das hat er mir stets vorraus. So groß wie er ist, kann ich ihm nicht mal vorwerfen, auf einem hohen Ross zu sitzen. Er kann garnicht anders, als von oben auf mich herab zu blicken. Selbst wenn er seinen Kopf auf den Boden legen würde, wären seine Augen immer noch etwa einen Meter hoch über mir. Und er ist so von sich selbst überzeugt, dass alleine in seiner Aura zu stehen, mich an meinen eigenen Vorhaben zweifeln lässt. Irgendwann im Laufe des Tages wird auch er ganz wach sein und meine Bewusstheit wird sich mit Gewissheit mit seiner Bewusstheit verbinden und einen ungewollten Pakt schließen. Dann werden all meine Strategien zu einem artistischen Kunststück auf einem weit gespanntem Hochseil. Jeder falsche Schritt führt in meinen eigenen Abgrund, vor dem er mich retten wird. Er fängt mich auf. Aber nicht um mich zu befreien, er tut es, um mich wieder an dem Punkt abzusetzen, wo ich mein Kunststück begonnen habe. Wieder am Anfang des Drahtseils, um mich weiter ärgern zu können.

tbc…